Ich, Wolfgang, Teil von "cuwstein" habe in meinem Leben viel gelernt. Eines war nicht dabei: Allein sein. Rückblickend muss ich feststellen, ich war wirklich nie länger als ein paar Tage für mich allein. Entweder war ich mit meiner Familie zusammen, oder mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Jetzt fehlt das "C".
Natürlich hat Katharina Recht, wenn sie mir schreibt: "Ich bin übrigens überzeugt, lieber Opa, dass Ihr für immer "CuW" sein werdet ... auch wenn es jetzt eine "Fernbeziehung" in eine andere Spähre ist".
Aber Christiane und ich, wir waren in den vergangenen 17 Jahren, wie sagt man heute: 24/7, zusammen. Physisch zusammen.
Weil es uns fast nie zu viel Zusammensein war, fehlt jetzt natürlich etwas.
Ja, was macht man da?
Lernen, allein zu sein.
Phase 1: Allein im "Paradiesle"
Am Sonntag nach der wunderbaren Trauerfeier in St. Leonhard Leinburg belud ich den Corsa und fuhr los. Tempomat 110, um den Gedanken freien Lauf zu lassen, und trotzdem den Verkehr im Auge zu behalten. Die Fahrt war völlig problemlos. Am Sonntag sind keine LKW unterwegs.
Bei der Ankunft auf dem Hüttenberg regnete es ganz leicht. Schnell die Markise aufgebaut, dunkle Wolken im Südwesten kündigten mehr Regen an, die Wettervorhersage noch mehr. Und tatsächlich, die letzten Leinen musste ich schon bei heftigem Regen festzurren. Was für ein Glück. Es regnete nämlich von da an ununterbrochen Tag und Nacht bis Dienstag Abend.
Die Betten müssen bezogen werden, die Bezüge waren zum Waschen beim letzten Besuch mitgenommen worden. Halt, nicht "die Betten", "das Bett" muss bezogen werden.
Abendessen. Ein Gedeck reicht. Das Radio und später der Fernseher sorgen für Unterhaltung.
Nach einer - wie auf dem Hüttenberg gewohnt - ruhigen Nacht: Kein Blutdruck messen. Keine Augentropfen. Keine neue Verletzung. Kein "Guten Morgen". Stille im Wohnwagen.
Frühstück, wegen des Regens, leider nicht auf der Terrasse. Nein, nicht zwei Gedecke. Eins reicht. Nein, nicht vier Brötchen aufbacken, zwei genügen. Radio wie immer. Aber, es gibt auch etwas Neues, Positives. Zeitung lesen beim Frühstück. Das gab es bisher bei den Steins nicht. Heute kann ich es ja zugeben: Zurecht nicht. Ich mache es, und ich genieße es. Ist ja keiner da, der es untersagt.
Ich widme mich der Post, die mich erreicht hat und freue mich über viele ermutigende, tröstende, liebevolle Worte.
Eigentlich, ja eigentlich war es rückblickend gar nicht schlecht, so allein im "Hüttle" die Gedanken schweifen zu lassen. Was die letzten vier Wochen über uns hereingebrochen war, lohnt auf jeden Fall den Rückblick.
Rückblick
Begonnen hat alles bei einer Routineuntersuchung an der Uniklinik. Zwei entscheidende Blutwerte sind weit außerhalb der Norm. Christiane muss stationär aufgenommen werden. Nach zwei Tagen darf sie wieder heim. Am selben Tag, abends, eilen wir wegen einer Unstimmigkeit im Darm erneut in die Klinik. Christiane bleibt dort vier Tage stationär, bis der Darm untersucht und in Ordnung gebracht wurde.
Vier Tage später verlassen sie daheim ihre Kräfte. Ein Rettungswagen bringt sie erneut ins Klinikum. Dort wird sie in der Intensivstation aufgenommen. 6 Tage lang versuchen hoch kompetente Ärzte und Schwestern, sie zu stabilisieren. Dann müssen sie feststellen, dass sie nicht mehr heilen können.
Schonend bringen sie uns diese Nachricht bei.
Während wir Beide versuchen, Ordnung in unsere Gedanken zu bringen, meldet sich mein Handy. Eine Nachricht von unserer Enkelin, die ihr erstes Baby, unser erstes Urenkel erwartete.
Das Kind wurde am Abend zuvor geboren.
Was für ein Lichtblick in dieser schweren Stunde.
Wir waren trotz aller Sorgen glücklich.
Die Familie trifft sich im Krankenzimmer. Von einem Besuch bei Freunden in Dresden eilends zurück, aus NRW - sofort ins Auto nach Süden, aus Darmstadt, aus Nürnberg. Die Mutti, Oma, Uroma braucht uns jetzt. Ganz besonders.
Um Christl nicht durch Bakterien zusätzlich zu gefährden, müssen wir Masken tragen.
Später lernten wir, dass Betroffene in dieser Situation die Anwesenheit und die Unterstützung ihrer Lieben am dringendsten benötigen. Dieses "wir können nicht mehr helfen", muss verarbeitet werden.
Gott sei Dank. Wir waren zum richtigen Zeitpunkt da.
Palliativversorgung
"Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) dient dem Ziel, die Lebensqualität und die Selbstbestimmung schwerstkranker Menschen zu erhalten, zu fördern und zu verbessern und ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod in ihrer vertrauten häuslichen Umgebung oder in einer stationären Pflegeeinrichtung zu ermöglichen". Quelle: SAPV-Team.
https://sapv-team-nuernberg.de/
Die Ärzte der Intensivstation stellen für uns einen Kontakt zu einer Ärztin des SAPV-Teams Nürnberg her. Wir, Christiane, unser Sohn und ich, werden darüber aufgeklärt, was auf uns zukommt. Ich erkenne schnell, dass ich meinen Wunsch, meine Frau zuhause selbst zu pflegen, nicht erfüllen kann. Rund um die Uhr für den Sterbenden da zu sein, ist trotz Unterstützung durch ambulante Pflegedienste einfach nicht machbar. Dazu reichen die Kräfte eines Angehörigen nicht aus. Was auf der Strecke bleibt, ist die dringend nötige Zuwendung.
Machbar ist es, wenn helfende Hände in einer guten Umgebung alles tun, was getan werden kann. Wir bekamen schon zwei Tage später einen Platz in der Palliativstation in Nürnberg.
Dort erlebten wir, was wir zuhause nie und nimmer hätten leisten können. Liebevolle, zärtliche, helfende, pflegende Zuwendung von wunderbaren Menschen. Von Ärzten und Pflegern, Freiwilligen Helfern, die sich für ein Gespräch anbieten, Seelsorgern, die sich Zeit nehmen.
Christiane konnte dort angst- und schmerzfrei in einer wunderbaren Umgebung friedlich einschlafen.
Ich wurde genau so behandelt, wie meine Frau. So konnte ich mich in ihren letzten Tagen, ausgeruht und versorgt, voll und ganz meiner Frau widmen. Sie hatte immer nur einen Wunsch: Sie wollte nicht alleine sterben. Den Wunsch durfte ich ihr erfüllen. Ich habe in diesem Zusammenhang viel mehr gute, teilweise richtig gute Erinnerungen, die mir helfen, mit der Trauer gut umzugehen.
Ich hatte von Palliativmedizin gehört, und mich - im Nachhinein muss ich das zugeben - nur oberflächlich informiert. Dennoch legten wir in unserer Patientenverfügung fest, dass wir nach Möglichkeit in ein Krankenhaus mit Palliativmedizin eingewiesen werden, wenn wir nicht mehr über uns selbst bestimmen können.
Ich kann nur jedem empfehlen, sich mit der Palliativmedizin, dieser so unglaublich humanen, von Nächstenliebe geprägten Einrichtung vertraut zu machen.
Geocaching
Wer mich kennt, weiß, dass ich mit großer Freude Geocaching als Hobby betreibe. Das Hobby hatte ich in den vergangenen Monaten ziemlich vernachlässigt.
Nachdem der Regen sich verzogen hatte, und sich ein Traumwetter einnistete, holte ich einiges von dem Versäumten nach. Im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet ist das Finden von schönen, interessanten Stellen nicht schwer, eher die Auswahl.
Ein ausgedehnter Waldspaziergang, und anschließend ein "Biberpfad" an der Thur
Blick von der Ruine Wolkenstein auf den Rhein und die Hegauberge bei Hemishofen
Das Schaffhauser Weinland, Hallau - St. Moritz
Ruine Homburg bei Stahringen
Der Hegauberg Hohenkrähen bei Singen
Alles zusammen genommen, war es die richtige Entscheidung, ins "Paradiesle" zu fahren. Ich konnte dort zur Ruhe kommen. Die emotionale Berg- und Talfahrt der vorausgegangenen vier Wochen hatte Spuren hinterlassen. Hier konnte ich wieder Kräfte tanken.
Und ich durfte erleben, wie wohltuend Gespräche mit Nachbarn sein können. Vielen Dank, Angie.
Die Sonne geht auf, am Rheinsee
lieber Herr Stein,
Ihnen und Ihrer Familie möchte ich mein aufrichtiges Beileid aussprechen, nachdem ich davon Kenntnis erhalten habe, dass Ihre Frau nicht mehr an Ihrer Seite ist. Die Zeit wird aber diese Wunde nicht heilen. Sie haben dafür das schöne gemeinsame Zusammenerleben, die vielen Erinnerungen an gemeinsame Reisen, Feiern und Erlebnisse, die Ihnen viel Energie liefern. Das lese ich aus Ihren Zeilen heraus. Sie sind selbst alleine auf Reisen gegangen und das ist gut so. Ich weiß noch, wie Sie den Begriff "Büsli" für Ihr Wohnmobil erwähnten, mit dem Sie viel unterwegs waren.
Eine interessante Fahrt, gute Gesundheit und immer offen für Neues bleiben wünscht Ihnen aus dem Norden
Joachim Reck
Lieber Herr Reck, treuer Besucher unserer Homepage. Vielen Dank für Ihr Beileid. Das tut einfach gut.
Es ist in der Tat so, dass das Alleinsein das größte Problem darstellt. Mein Rückzug in unseren Wohnwagen am Bodensee war gut. Da hat das Alleinsein geholfen, die Gedanken zu ordnen. Die Frage, die sich mir stellte ist, ob das Reisen, allein im Campingbus, Ablenkung schafft, und vor allem, ob es noch Freude bereitet, so zu reisen. Das versuche ich momentan heraus zu finden, indem ich ein Reise an die Ostsee durchführe, die wir eigentlich gemeinsam geplant hatten. Heute ist mein erster Tag. Es sieht ganz gut aus. Ich werde berichten.
Mit einem herzlichen Gruß
Wolfgang Stein
Lieber Wolfgang, danke für die Einblicke in Deinen Eintritt in den nächsten Lebensabschnitt. Und danke für die schönen Fotos - die sind wie immer wunderschön!
Bin schon sehr gespannt, was Du weiter berichten wirst.
LG, Dorle
Guten Tag, Herr Stein,
und vielen Dank für Ihre netten Zeilen an mich, die Sie in einer persönlichen Trauerphase formulieren. Aber Ihre Gedanken sind frei, das lese ich aus dem kurzen Text heraus.
Sie haben sehr viel Energie, die Sie sogar an die Ostsee führt. Was für eine Freude für Sie und auch ich freue mich darüber. In einer Mail an Sie hatte ich Ihnen angeboten, hier an die Ostsee nach Rostock zu fahren. Nun lese ich es und kann es kaum glauben. Denn es sind doch ca. 950 km zu mir. Die Ostseeküste ist natürlich sehr lang und ich weiß nicht, wohin Ihre Reise führt und welche Städte von Ihnen geplant sind. Rostock ist bekanntlich die größte Stadt in Mecklenburg und hat mit Warnemünde einen tollen Aussichtspunkt für Wohnmobile auf die offene See. Alles weitere findet sich vor Ort dito Stellplatz.
Hier ist meine Tel. 0175-2267 370. Besuchen Sie mich bitte!
Eine wunderschöne Reise in den Norden wünscht Ihnen
Joachim Reck
Lieber Opa,
wir sitzen hier in Diessenhofen (du weißt wo), lesen in Ruhe und mit der entsprechend passenden Atmosphäre deine Erlebnisse der letzten Wochen und denken an Oma. Ich hab den Gesichtsausdruck genau vor Augen, den sie jetzt drauf gehabt hätte, wäre sie es gewesen, der ich deine Worte vorgelesen hätte. Das Beruhigende/Heilsame: an Orten wie diesen wird diese Erinnerung vermutlich (und hoffentlich) immer präsent sein. Und dennoch tut es gut, deine Worte zu lesen und zu spüren, dass du mit UND ohne Oma weiterlebst!
Lieber Wolfgang. Vielen Dank für Deine tollen Berichte, die wir immer gerne lesen. Viele Grüsse aus der Schweiz! Peter Wehrli (auch ein Geocacher) und Vreni Wehrli
Danke für die lieben Grüße. Ich freue mich über Euer Interesse. Irgendwann in den nächsten Wochen werde ich sicher noch einmal an den Rheinsee kommen. Vielleicht können wir uns treffen. Ich melde mich.
Liebe Grüße Wolfgang
Lieber Wolfgang, Eure (CuW) „Bild“berichte haben wir schon immer geschätzt. Aber diesmal ist es nur teilweise ein Bericht, die andere Seite der Medaille ist eine Aufarbeitung der vielen Eindrücke -weniger ist hier die Anzahl gemeint- der letzten Wochen! Und da ist Dir etwas sehr Gutes gelungen, weil es dankbares Zurückschauen und vorwärtsgewandtes Annehmen verbindet! (Ich weiß noch gut ähnliche Erkenntnisse in der Zeit nach dem Tod meiner Mutter).
Eva und ich danken Dir für‘s Einbinden in diese eigentlich so private, aber schön von Dir aufbereitete Welt der Erinnerungen und Gefühle!
Vielleicht wirst Du einem von uns darin einmal ein Vorbild sein!
Alle guten Wünsche für die Zeit des Solo-Neustarts!
Die „Gegenschwieger“
Danke für Euern Kommentar. Vieles haben wir ja im persönlichen Gespräch über diese Berichte hinaus besprochen. Das hat gut getan. Seid herzlich gegrüßt.